Zürcher Verteidigungslinie entlang wandern

Ihre Masterarbeit wurde zu einer Ausstellung: Die Architekten Noël Fäh und Domenic Schmid haben das erste «Tourismusbüro für Befestigungsbauten» in Zürich eröffnet.

Ein Ticket für den Titlis gibt es keines zu kaufen und nicht mal einen normalen Stadtplan. Stattdessen werden in der Villa Bellerive Bunker-Wanderkarten eine visuelle Hommage der umstrittenen Erscheinungen Soldatenbuch sowie Zivilverteidigung aus den Zeiten des Kalten Krieges und Miniatur-Panzersperren als Buchstützen angeboten. Letzte Woche wurde hier das «Tourismusbüro für Befestigungsbauten» eröffnet.

Das Zentrum Architektur Zürich (ZAZ), das im ehemaligen Museum Bellerive beheimatet ist, zeigt bis zum 28. Februar 2019 die Ausstellung «111 Bunker. Entdecke das verborgene Zürich!». Sie wurde zusammen mit Domenic Schmid und Noël Fäh entwickelt und basiert auf ihrer gemeinsamen Architektur-Masterarbeit an der ETH Zürich. «Obstacle Absolu» ist der Titel ihrer Masterthesis und nimmt damit Bezug auf Henri Guisan, den Schweizer General während des Zweiten Weltkriegs. Er hatte
die Stadt Zürich als ein «obstacle absolu», ein absolutes militärisches Hindernis von strategischer Bedeutung verstanden.

Trotz Widerstand des damaligen Stadtpräsidenten Emil Klöti (SP) hielt General Guisan am Operationsbefehl Nr. 2 vom 4. Oktober 1939 fest. So führten die Befestigungsanlagen entlang der Limmat mitten durch die Innenstadt. «Zürich war quasi die Bunkerhauptstadt der Schweiz», sagte Noël Fäh an der Vernissage. Hätte die deutsche Wehrmacht von Norden angegriffen, wäre ein realistisches Ergebnis dieser Strategie die totale Zerstörung Zürichs gewesen.

Die Limmatstellung erstreckte sich von der östlichen Landesgrenze bei Sargans durch Zürich bis zur westlichen Grenze bei Basel. Nach nur zehn Monaten wurden die in Eile erbauten Stellungen aber schon wieder weitgehend aufgegeben. Grund dafür: Die Deutschen hatten im Juni 1940 Frankreich besetzt. Die Schweizer Armee wurde ins Réduit beordert, die Befestigungsanlagen in den Alpen und Inbegriff des Schweizer Widerstands.

Bunker entdecken
In der Ausstellung zeigt ein riesiger Stadtplan 111 Bunker. Bilder und Filme lassen Besuchende in eine martialische Zeit eintauchen. So ist das Tourismus Büro für Befestigungsbauten eine Anlehnung an das Büro für Befestigungsbauten, das dem Militärdepartement unterstellt und für den Bau von Festungsanlagen sowie Hindernissen zuständig war.

Auf der Wanderkarte, die im Museumsladen für drei Franken erhältlich ist, werden die Routen «Wollishofer-Sperre», «Seebecken», «Limmatufer», «Buechhoger» und «Weihermatt» vorgeschlagen – inklusive Zeitangabe und Beschreibung. Für Bunker-Enthusiasten dürften aber vor allem die geführten Bunkertouren der Höhepunkt sein. Oder wie es die Kuratoren Fäh und Schmid formulierten: «Die Villa Bellerive ist nicht das Ziel der Ausstellung, sondern der Ausgangspunkt.»

Artikel zuerst erschienen in den Stadtzürcher Lokalinfo-Zeitungen am 22. November 2018.

Ein Wahlzürcher leitete den Orientexpress

Er ist ein Star in Film und Literatur: Der Orientexpress. Ein Buch beleuchtet das Wirken von Jakob Müller, der die Orientbahn durch die Wirren des Ersten Weltkriegs erfolgreich leitete.

Es war eine Zeit des Aufbruchs und der Gotthard-Durchstich das Thema der Epoche. Der «Hype» der Eisenbahnen hatte auch Einfluss auf den jungen Jakob Müller aus dem luzernischen Rain. Kein Wunder also, trat er 1875 bei Alfred Eschers Nordostbahn ein – wohl für eine betriebliche Anlehre, wie es im Buch «Der Türken-Müller. Ein Luzerner und die Orientbahn» heisst. «Die Schweiz war ein bevorzugter Arbeitsmarkt für Ingenieure und Beamte des Eisenbahnwesens», schreibt Autor Karl Lüönd. Entsprechend konnte es auch passieren, dass die Fachkräfte vom Ausland abgeworben wurden.

Jakob Müller verschlug es 1877, mit 20 Jahren, nach Konstantinopel. Dort nahm er eine Stelle als Stationsvorsteher an. Seit 1883 verkehrte der Orientexpress zwischen Paris und der damaligen Hauptstadt des Osmanischen Reichs und Müller arbeitete quasi an deren Endstation im Orient.

Osmanisches Reich fiel zusammen
Doch der Luzerner, der seinen Ruhestand am Zürichberg verbrachte, stieg rasch auf. Mit 42 Jahren wurde er Subdirektor der Betriebsgesellschaft der Orientalischen Eisenbahnen – kurz Orientbahn. Eben dieser Bahngesellschaft, die den weltberühmten Orientexpress betrieb. Sein Jahresgehalt betrug 32 000 Francs, was für damalige Verhältnisse «ein fürstliches Auskommen» darstellte. Der Vizedirektor einer schweizerischen Grossbank habe maximal 20 000 Franken verdient.
Das Einkommen ermöglichte Müller laut Lüönd einen komfortablen Lebensstil. Im Sommer lebte er mit seiner Familie in einer Villa am Bosporus, nahe der Orientbahn, «sodass der Vater zu Fuss zum Dienst gehen konnte». Im Winter wohnte man im Konstantinopler Ausländerviertel Pera in einer grossen Wohnung. «Wenn die Familie in die Schweiz reiste, wurde ein Extrawagen an den Orientexpress gehängt», so Lüönd.

Doch das Geld musste sich der spätere Wahlzürcher verdienen. Das Osmanische Reich war im Begriff zusammenzubrechen. Die Griechen und Bulgaren sowie Serbien forderten die Unabhängigkeit. Im Buch dokumentiert Karl Lüönd die damalige Zeit unter anderem anhand von Fotografien aus einem von Jakob Müller angelegten Album. Am 5. Juni 1911 reiste Sultan Mehmed V. für drei Wochen durch die europäischen Provinzen seines Reiches. Er wollte dem wachsenden Nationalismus bei seinen Untertanen entgegenwirken. Müller, der dem Sultan freundschaftliche verbunden war, begleitete ihn und fotografierte das Geschehen. Obwohl die Bilder geordnete Verhältnisse zeigen, kam die Friedensmission zu spät. Von 1912 bis 1913 wüteten die Balkankriege. Das Osmanische Reich war gezwungen, sich im europäischen Teil seines Staatsgebiets bis auf die Grenzen der heutigen Türkei zurückzuziehen. Müllers Ziel, ab 1913 als «oberster Manager», war es immer, die Orientbahn weiter zu betreiben – was viel diplomatisches Geschick erforderte. «Der Alltag in diesen unruhigen Zeiten war turbulent», schreibt Lüönd, der bereits über fünfzig Biografien und Sachbücher publiziert hat. Im Sommer 1911 sei keine Woche ohne Zwischenfälle vergangen. Am laufenden Band gab es Bombenattentate auf die Gleise. «Die im Balkankrieg angerichteten Schäden an Strecken und Rollmaterial der Orientbahn waren enorm», so Lüönd. Mehrere Brücken und Viadukte waren gesprengt worden. Auf dem Hauptnetz befanden sich 16 von 79 Lokomotiven in fremden Händen.

Bahn war stets rentabel

Doch selbst als der Erste Weltkrieg folgte, rentierte die Orientbahn weiter. Die Einnahmen aus dem Personenverkehr schwanden zwar massiv dahin, dafür nahmen Waren- und Truppentransporte zu. Zudem betrieb die Gesellschaft den öffentlichen Nahverkehr in Konstantinopel und Saloniki. Neben vielen geschichtlichen Informationen beleuchtet das vom Verein für wirtschaftshistorische Studien herausgegebene Werk die interessanten Hintergründe rund um die Finanzierung der Bahn.

Mit 60 Jahren, am 26. November 1917, gab Müller seinen Rücktritt. 40 Jahre im Dienst der Orientbahn waren wohl genug. «Offenkundig sah Müller das Nachkriegs-Chaos kommen und zog sich rechtzeitig zurück», urteilt Lüönd. Er zog in die Schweiz, nach Zürich. Dort lebte der an Lungenkrebs erkrankte Bahnpionier fünf Jahre an der Germaniastrasse 56. Er wurde am 16. Oktober 1922 auf dem Friedhof Nordheim nahe des Bucheggplatzes beigesetzt.

Karl Lüönd: «Der Türken-Müller. Ein Luzerner und die Orientbahn». 96 Seiten, 69 Abbildungen. www.pioniere.ch

Zuerst veröffentlicht in «Zürich 2» vom 14. Juni 2018.

Zürich wollte mit Genf und Basel mithalten

Foto: Pascal Turin

Lange war Zürich weder das Wirtschaftszentrum noch die grösste Stadt der Schweiz. Das neue Buch «Zürich – Aufbruch einer Stadt» widmet sich diesem Thema.

1867 soll halb Zürich eine Baustelle gewesen sein. Die Stadt habe mitten in einer Entwicklung gesteckt, die aus dem mittelalterlichen Zürich in wenigen Jahrzehnten eine moderne Stadt mit grosszügigen Boulevards und prächtigen Wohn- und Büropalästen werden liess, schreibt der NZZ-Journalist Adi Kälin in seinem Beitrag für das Buch «Zürich – Aufbruch einer Stadt». Die alte Stadtbefestigung wurde ab 1833 beseitigt, «so richtig systematisch wird die Umwandlung der Stadt aber erst seit 1860 betrieben», hält Kälin fest.

Grund dafür war laut dem Autor ein neues Baukollegium unter dem Vorsitz von Alfred Escher. Dieses wählte Arnold Bürkli zum Stadtingenieur, der Zürich städtebaulich und architektonisch auf das Niveau von Basel und Genf heben wollte. Auch wenn es mancher wohl nicht wahrhaben möchte: Bei der Gründung der Schweiz als Bundesstaat im Jahr 1848 war Zürich weder die grösste Schweizer Stadt noch das wirtschaftliche Zentrum. Die Stadt hatte nur rund 17 000 Einwohner. Im Vergleich dazu: Basel zählte 27 000 Einwohner, in Genf waren es 31 000. Das war vor den Eingemeindungen. Laut Statistik Stadt Zürich waren es damals 41 585 Einwohner, wenn man das gesamte heutige Stadtgebiet betrachtet. Danach sollte sich die Bevölkerungszahl bis 1950 verachtfachen.

Stadtingenieur Bürkli, der von 1833 bis 1894 lebte, war Gemeinderat, Kantonsrat, Nationalrat sowie Zunftmeister der Zunft zur Meisen. Die «NZZ» habe damals in einem Nachruf geschrieben, er sei zu einer gewissen Zeit «einer der populärsten Männer der Stadt» gewesen. Er soll aber wegen umstrittenen Projekten zeitweise auch heftig angefeindet worden sein. Der Bauingenieur plante die Bahnhofbrücke, die Bahnhofstrasse sowie verschiedene Quartiere. Zudem war er federführend bei der Planung und Umsetzung der Kanalisation und Wasserversorgung.

Stadtzunft schenkt sich Buch
«Arnold Bürkli oder die Entdeckung des Mondänen» ist eines der Kapitel im Bildband «Zürich – Aufbruch einer Stadt», welches die grundlegenden Veränderungen dieser Zeit thematisiert. Dazu gehören die Themen Bildung, Kultur, Politik und Wirtschaft, zu denen jeweils ein Beitrag von verschiedenen Autoren beigesteuert wurde. Herausgegeben hat das Werk die Stadtzunft, die 1867 gegründet wurde und 2017 ihr 150-Jahr-Jubiläum feiert. Sie war damit die erste Zunft der insgesamt 14 neuen Zünfte. Diese entstanden ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, oftmals im Zusammenhang mit den Eingemeindungen von 1893 sowie 1934. Die zwölf alten Zünfte waren Handwerksvereinigungen und haben ihre Wurzeln im 14. Jahrhundert.

«Zürich – Aufbruch einer Stadt» ist ein schöner Band mit Essays und vielen grosszügig aufgemachten Bildern geworden. Obwohl das Buch als Geschenk der Zunft an sich selbst gesehen werden kann, steht die Zunftgeschichte nicht im Zentrum. Dafür wird dem Aufbruch der Stadt zum modernen Zürich viel Platz eingeräumt: Pionierjahre, deren Geist bis heute nachwirkt.

499 Menschen starben an Cholera
1867 scheint tatsächlich ein Jahr des Aufbruchs gewesen zu sein. Die Russin Nadeschda Suslowa promovierte an der medizinischen Fakultät als erste Frau an der Universität Zürich. Im gleichen Jahr wütete in Zürich und Umgebung die Cholera. 771 Menschen erkrankten daran und 499 starben. Und es entstand die Halle des Hauptbahnhofs. Kein Wunder, beginnt die Einleitung des Buchs folgendermassen: «Es gibt Jahre, in denen derart viel passiert, dass man sich noch lange daran erinnert.»

Stadtzunft, Zürich – Aufbruch einer Stadt. NZZ Libro, 2017. 240 Seiten, geb.

Zuerst veröffentlicht in «Züriberg» vom 5. Oktober 2017.