
Verborgen im Untergrund: Vor zehn Jahren wurden zwei Pfahlbau-Fundstellen in Zürich ins Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen. Die Stadt nimmt dies zum Anlass für eine Ausstellung. Ausserdem lanciert sie eine App, mit der man digital rund 5000 Jahre in die Vergangenheit reisen kann.
Der Taj Mahal in Indien gilt als Weltkulturerbe, die Berner Altstadt ebenso. Beiden ist gemeinsam, dass man die Orte besuchen und bestaunen kann. Zürichs Weltkulturerbe befindet sich mehrheitlich im Untergrund. 2011 hat die Unesco 111 von knapp 1000 Pfahlbaufundstellen aus der Schweiz, Österreich, Frankreich, Deutschland, Italien und Slowenien in ihre Liste aufgenommen. Zwei davon sind in der Limmatstadt – beim Bellevue und beim General-Guisan-Quai.
«Eine grosse Geschichte, wenn man bedenkt, was da sonst auf der Liste ist», sagte Katrin Gügler stolz. Sie ist die Direktorin des Amts für Städtebau und hat am Montag eine neue Ausstellung eröffnet. Bis 12. Juni wird die Geschichte der Pfahlbau- und Unterwasserarchäologie in Zürich im Haus zum Rech am Neumarkt gezeigt. Gleichzeitig lancierte das Amt für Städtebau eine kostenlose App für Smartphone und Tablet.
Alltag bestand aus harter Arbeit
Pfahlbauerinnen und Pfahlbauer waren Bauern. Sie pflanzten Getreide an, züchteten Rinder und bauten Holzhäuser auf Pfählen. Doch ganz so romantisch, wie man sich das vielleicht vorstellt, war diese Zeit nicht. Wie in der Ausstellung zu sehen ist, wurden die Dörfer oft nur wenige Jahrzehnte bewohnt. Wenn Böden ausgelaugt waren und die Wälder nichts mehr hergaben, zogen die Urzürcherinnen und Urzücher weiter. Sie bauten einige Kilometer entfernt eine neue Siedlung. Ausserdem war das Leben für die Pfahlbauerinnen und Pfahlbauer kein Zuckerschlecken. Die Gemeinschaften bestanden vorwiegend aus jungen Menschen, der Alltag aus harter Arbeit.
Heute ist viel über diese Zeit bekannt, weil Überreste verschiedener Siedlungen im Uferbereich des Sees unter dem Boden sehr gut erhalten geblieben sind. So konnten Holz, Textilien, pflanzliche Reste oder Knochen gefunden werden. Selbst Körbe oder Fischernetze haben im versiegelten Untergrund überdauert.
Einen wichtigen Beitrag leistet die Unterwasserarchäologie der Stadt Zürich. Sie schützt und dokumentiert archäologische Fundstellen in Seen und Flüssen. Ihre Experten suchen Quadratmeter für Quadratmeter den Grund ab. Dort sind nicht nur Pfahlbauten zu finden, sondern auch weniger alte Schiffswracks oder Brücken- und Hafenbauten.
Die Anfänge der Zürcher Unterwasserarchäologie gehen auf die 1960er-Jahre zurück, als erste Erkundungstauchgänge vor dem Bellevue durchgeführt wurden. Ulrich Ruoff, der damalige Leiter des Baugeschichtlichen Archivs, setzte anfänglich auf private Taucher.
Zuerst musste jedoch definiert werden, wie solche Funde ausgegraben und dokumentiert werden sollten. Heute ist die Zürcher Unterwasserarchäologie, die dieses Jahr ihr 60-jähriges Bestehen feiert, in anderen Kantonen und sogar im Ausland tätig. Andreas Mäder adelte das Wirken seiner Abteilung als «Pionierarbeit». Er leitet die Unterwasserarchäologie und Dendroarchäologie, wobei letztere Holzfunde und Kunstgegenstände untersucht.
Ganze Schweiz feiert
In der Ausstellung zu sehen sind historische Fotos, Filmaufnahmen, Modelle und Fundstücke sowie Tauchgeräte. Die Schau führt von der ältesten Pfahlbausiedlung am Bellevue um 4300 vor Christus bis zur jüngsten Pfahlbausiedlung am General-Guisan-Quai. Mit jener endete die Pfahlbauzeit um 800 vor Christus ziemlich abrupt. Über die Gründe wird noch diskutiert, eine Hypothese wären klimatische Veränderungen.
2021 finden in der ganzen Schweiz Aktivitäten zum Thema Pfahlbauten statt. Im Kanton Zürich etwa kann man in Maur, Mönchaltorf, Pfäffikon und Wetzikon Ausstellungen besuchen.
Stadt: www.stadt-zuerich.ch/uwad Kanton: www.die-pfahlbauer-in.ch
Zuerst veröffentlicht im «Züriberg» vom 15. April 2021.